Sehr geehrter, ehrwürdiger Lehrstuhl,
anbei ein Essay, mit bitte um Veröffentlichung,
Mit besten Grüßen,
Stuhlio Iglesias
http://trebuchetdemerde.tumblr.com
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Die Weißheit des Sanitären
von Dr. Studio Iglesias (Lehrstuhl für Scheißologie der FU Berlin)
Wir kennen die Weißheit des Geistes, die der Leinwand, die der Gefühle, der Wände und Gewänder und die des Sanitären. Dabei unterscheiden wir imaginäre Weißheiten, wie die des Geistes und der Gefühle, und die realen Weißheiten wie die der Wände und Gewänder. Im Gegensatz zu den genannten Mensch-gemachten Weißheiten, stehen die natürlichen, ebenfalls realen, Weißheiten: die des Schnees, die der Margerite und die des Kalks.
In diesem Artikel wollen wir uns der Weißheit des Sanitären annähern und diese im Raum unserer Kultur, sowie im Kontext zu anderen Weißheiten verorten.
Brille, Schüssel, Kacheln, Spülbecken - alle Gegenstände unserer sanitären Belange sind im europäischen Kulturkreis vorzugsweise aus Keramik und mit einer weißen, glatten Oberfläche versehen. Dabei spielen hygienische Belange eine tragende Rolle, sind aber nicht der einzige Ursprung unseres Drangs nach Weißheit. Nehmen wir die Küche als Beispiel. Hier sind andere Farben und Materialien zugelassen, Holz aller Farben, gebürsteter Edelstahl und Granit verunsichern unser Hygienegefühl nicht. Dabei müsste uns die Oberflächenreinheit bei der Nahrungsaufnahme doch wichtiger sein als beim Defäkieren. Der tatsächliche Grund liegt tiefer und sagt mehr über uns aus, als das einfache Bedürfnis nach Sauberkeit.
Nehmen wir zunächst die Toilettenschüssel als Ausgangspunkt unserer Überlegungen. In der Formgebung entspricht sie einem nach oben sich verbreiternden Elefantenfuß der sich unserem Gesäß nahtlos als drittes Bein anfügt. Der Prozess der sich im inneren abspielt, bleibt damit der Außenwelt verschlossen und unsichtbar. Wir erweitern unseren Körper also um ein Körperteil, welches die Fäkalien aufnimmt, dann gemeinsam mit den Fäkalien abgekoppelt wird und somit einen hybriden Zwischenraum bildet.
Aufschluss über unsere Beweggründe birgt eine Überlegung von Jacques Lacan, die wir hier auf die Formalien des Sanitären übertragen möchten. Lacan thematisiert in seinem wichtigen Aufsatz zum Spiegelstadium, wie schwer sich das Kind in seiner analen Phase - in der ersten Zeit des bewussten Stuhlgangs - von seinen Exkrementen trennen kann. Als Kinder sind wir in diesem Moment mit einer paradox erscheinenden Situation konfrontiert: ich, also mein Körper hat etwas neuartiges Produziert, das Produkt darf ich aber nicht mit dem gebührendem Stolz behandeln. Lacan argumentiert nun, mit dem Akt des Herunterspülens des Exkrements, also mit der Geste der endgültigen Verabschiedung, betätige sich jeder zum ersten mal künstlerisch, weil hier bewusst Vergänglichkeit praktiziert würde.
Die Toilettenschüssel, die sich als Körperteil anfügt verzögert also den Verabschiedungsprozess indem sie als Transferraum dient und wird so Teil des künstlerischen Prozesses. Dies wird in besonderer Weise klar wenn wir an den Flachspüler denken, der in Deutschland weit verbreitet ist. Bei dieser Bauform verschwinden die Exkremente nicht direkt im Siphon, sondern landen auf einem terrassenarteigen Vorsprung, wo sie einer intensiven Betrachtung unterzogen werden. Nach dem Herunterspülen verbleiben auf diesem Vorsprung Spuren die mit der Bürste beseitigt werden können.
Der sanitäre Raum dient also als Trägermedium, intimer Produktionsraum, sowie Präsentationsraum des künstlerischen Werks. Als Medium ähnelt es in seiner Weißheit der Leinwand die zunächst weiß, später die Spuren des künstlerischen Schaffens trägt und dann grundiert und wieder neu übermalt wird. Als Produktionsraum entspricht die Toilettenschüssel dem vertrauten Atelier in dem der Künstler in Einsamkeit arbeitet und dabei seine Umgebung und sein Werkzeug als Verlängerung seines eigenen Körpers begreift und es versteht etwas innerlich-formloses als äussere Form real werden zu lassen. Als Präsentationsraum entspricht die gesamte Sanitäre Anlage dem Konzept des White-Cube in dem auf einem ebenso weißen Sockel der Brown-Cube, das zutiefst menschlich innerlich natürliche, zu Schau gestellt wird. Seine besondere nähe zur Topologie des Künstlerischen erhält der Prozess durch die Intimität. Schon früh lernen wir, dass die Präsentation unserer fäkalen Werke auf wenig Gegenliebe stößt und transformieren unsere Tätigkeit zu einem Prozess inniger, fast zwanghafter Selbstverwirklichung. Der Stuhlgang gibt sich so als Urform des Art Brut zu erkennen, denn wir Produzieren nur zur eigenen Stimulation. Es bleibt uns lediglich offen, provokante Spuren unseres Schaffens auf dem Keramik zu hinterlassen, auf ein großes Publikum können wir allerdings auch dabei nicht hoffen.
In weiteren Studien bleibt zu erforschen wie die Weißheit des Sanitären und die künstlerischen Präsentations- und Produktionsformen kulturgeschichtlich interferieren um Aufschluss über die Kausalitäten des kulturellen Austausches zwischen beiden Phänomenen zu bekommen.